Neue WHO-Richtwerte – geringe Luftverschmutzung ist noch zu viel

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Herbst 2021 neue Leitlinien für die Belastung durch Luftschadstoffe veröffentlicht. Darin werden aufgrund der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse deutlich tiefere Richtwerte für die wichtigsten Luftschadstoffe vorgeschlagen als in der letzten Version von 2005. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse weisen nach, dass auch geringe Luftverschmutzungen sich negativ auf die Gesundheit auswirken.

Welche neuen Erkenntnisse zur Anpassung der Richtwerte geführt haben, wird im Folgenden am Beispiel von Feinstaub und einer wissenschaftlichen Studie erklärt. Doch zuerst ein Rückblick: Ob durch die Industrialisierung seit dem 19. oder die Verbreitung des Autos ab Mitte des 20. Jahrhunderts – es ist seit langem bekannt, dass die Luftverschmutzung krank macht. Aber erst nach den 1960er-Jahren wurde die Verminderung der Luftbelastung global vorangetrieben und ein Schutz von Mensch und Umwelt angestrebt. In der Schweiz folgte erst in den 1980er-Jahren eine konkrete Umsetzung, unter anderem mit der Festsetzung von Immissionsgrenzwerten für verschiedene Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid (SO₂), Stickstoffdioxid (NO₂), Ozon und Schwebestaub in der Luftreinhalte-Verordnung.

Luftschadstoffe werden in kleinsten Mengen täglich, Jahr für Jahr und über Jahrzehnte eingeatmet. Welche Schadstoffbelastungen dabei noch akzeptabel sind, ist nicht einfach zu ermitteln. Seit Beginn der ersten Luftreinhaltemassnahmen werden daher auch wissenschaftliche Studien über gesundheitliche Auswirkungen von Schadstoffen durchgeführt. Die Qualität und Aussagekraft solcher Studien hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab. Ein wichtiger Faktor ist dabei der Beobachtungszeitraum, ein anderer die Menge der untersuchten Studienteilnehmer sowie das Spektrum der erfassten Belastungen.

Eine kürzlich abgeschlossene langjährige Studie über die gesundheitlichen Auswirkungen von Luftschadstoffen ist das "Effects of Low-Level Air Pollution" (ELAPSE) Projekt. Dabei untersuchte eine Publikation (Strak et al. 2021) unter anderem die Feinstaubbelastung und ihre Gesundheitsauswirkungen in sechs europäischen Ländern. Diese Untersuchung umfasste mehr als 320'000 Studienteilnehmer in acht Kohorten, deren Belastung abgeschätzt werden konnte. Der Beobachtungszeitraum begann je nach Kohorte bereits während den Anfängen der Luftreinhaltepolitik, nämlich Mitte der 80er- / Anfang der 90er-Jahre. Der lange Zeitraum, die sehr grosse Personenmenge und das Belastungsspektrum, das auch Regionen mit tiefen Belastungen umfasste, ermöglichten es, besonders robuste und aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Ergebnisse, wie sie noch vor wenigen Jahren aufgrund der Datenlage gar nicht ermittelbar waren. So konnte unter anderem gezeigt werden, dass Feinstaub in deutlich niedrigeren Konzentrationen als bisher angenommen das Sterberisiko erhöht.

Die ELAPSE-Studie ist nur eine von vielen hundert in den letzten Jahren abgeschlossenen Studien, die die neuen WHO-Empfehlungen bestätigen. Sie alle zeigen, dass die Luftverschmutzung global eine der grössten Umweltgefahren für die menschliche Gesundheit ist und bereits geringe Belastungen zu ernsthaften Beeinträchtigungen der Gesundheit der Bevölkerung führen. Deshalb hat die WHO die bisherigen Empfehlungswerte nach unten angepasst.

In der Schweiz erfasst die Dokumentationsstelle LUDOK des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institutes (Swiss TPH) im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt die publizierte Literatur zum Thema Luftverschmutzung und Gesundheit und liefert weiterführende Informationen zum Thema. Deren Analysen werden mit einem regelmässigen Newsletter allen Interessierten zur Verfügung gestellt.

Mit den neuen WHO-Leitlinien befasst sich derzeit die Eidgenössische Kommission für Lufthygiene (EKL). Die EKL ist die Kommission des Bundesrates, die sich aus Expertinnen und Experten im Bereich der Luftreinhaltung zusammensetzt. Sie berät das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) sowie das Bundesamt für Umwelt (BAFU) in wissenschaftlich-methodischen Fragen im Zusammenhang mit der Luftreinhaltung und den Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit der Menschen und der Natur. Die EKL wird nun die Empfehlungen der WHO für die Schweiz bewerten und ihre Schlussfolgerungen und Vorschläge zusammen mit einem Evaluationsbericht dem UVEK unterbreiten.

Vergleich der bisherigen und neuen WHO-Richtwerte und der Grenzwerte der Schweiz

SchadstoffMittelungszeitWHO-Richtwert
2005
WHO-Richtwert
2021
LRV-
Grenzwerte
Schweiz
Einheit
PM10Jahr

25

15

20

µg/m³
PM10Tag a

50

45

50

µg/m³
PM2.5Jahr

10

5

10

µg/m³
PM2.5Tag a

25

15

µg/m³
NO₂Jahr

40

10

30

µg/m³
NO₂Tag a

25

80

µg/m³
OzonSommersaison b

60

µg/m³
Ozon8 Stunden

100

100

µg/m³
Ozon1 Stunde

120

µg/m³

Neben den Richtwerten definiert die WHO auch Zwischenziele, welche sich innerhalb eines realistischen Zeitrahmens in Ländern mit stark belasteten Gebieten verwirklichen lassen.

99-Perzentil (d.h. 3-4 Überschreitungen pro Jahr)

b Durchschnitt des maximalen 8-Stunden-Mittelwerts der Ozon-Konzentration in den sechs aufeinanderfolgenden Monaten mit der höchsten Ozon-Konzentration im Sechsmonatsdurchschnitt

Links:

BAFU Webseite zur Luftgüteleitlinie

WHO Global Air Quality Guidelines (300 Seiten, englisch)

Zusammenfassung der Globalen Luftgüteleitlinien der WHO  (16 Seiten, deutsch)